Wer die Entwicklungen am Kapitalmarkt über die mittlerweile zwei Coronajahre korrekt vorhergesehen hat, der muss schon gewisse hellseherische Fähigkeiten mitgebracht haben. Die ersten Ereignisse waren noch nicht überraschend: Die weltweite Schließung von Betrieben ließ die Aktienkurse einbrechen, der stärkste Rückgang der Weltwirtschaft seit dem zweiten Weltkrieg befeuerte Deflationsängste, weswegen auch inflationsgeschützte Anlageklassen wie Staatsanleihen und Wohnimmobilien plötzlich kritisch beäugt wurden.

Aber spätestens drei Monate nach Pandemiebeginn war es damit auch vorbei. Die Aktienmärkte erholten sich schnell, statt Deflation kam einer der stärksten Konsumentenpreisschübe seit Jahren. Warum es zu diesem kam und warum daraus entgegen der geltenden Lehre keine höheren Zinsen – zumindest in Europa – folgten, habe ich bereits in früheren Kapitalmarktausblicken  beleuchtet.

Ich möchte noch einmal verdeutlichen, warum die aktuell für viele so überraschende Inflation auch in Zukunft die Prognosen übertreffen wird. Ein Haupttreiber ist der Mangel an Arbeitskräften. In Deutschland ist die Zahl offener Stellen in Prozent der Gesamtbevölkerung so hoch wie ewig nicht mehr. Das besondere Problem hierzulande liegt darin, dass Deutschland innerhalb der Eurozone die niedrigste Erwerbslosenquote aufweist. Die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften, kombiniert mit einem niedrigen Angebot, führt zu höheren Lohnen und damit auch zu mehr Inflation. Für die EZB ist aber der Durchschnittswert der Eurozone relevant, und der ist wesentlich höher. Die einflussreichen Länder Frankreich, Italien – seit kurzem regiert vom Ex-EZB-Präsidenten Draghi – und Spanien weisen sogar noch höhere Werte auf und werden sich nennenswerten Zinserhöhungen vehement widersetzen.

Die Zinsen werden also kaum steigen, trotz weiterhin hoher Inflation. Bei der Anlagestrategie sollten sich Anleger also nicht von Preissteigerungen kirre machen lassen. Insgesamt wird ein Vermögen mit den Anlageschwerpunkten Aktien und Beteiligungsfonds, ergänzt um (Wohn-) Immobilien und Gold in einem Umfeld höherer Inflation bei weiterhin niedrigen Zinsen gut zurechtkommen.